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Ausstellung  D. Wildförster   19.06. – 28.06.2009           Akademiegalerie KU28

 

Einführungsrede und Text im Katalog

von Dr.  Emmanuel Mir ( Kunsthistoriker )

 

KEINE MUSIK FÜR HELDEN

Im Volksglauben ist der Künstler ein Held, das Kunstwerk ein Schatz, die Kunstproduktion ein Ausnahmezustand. Mehr als seine Bildhauerkollegen genießt dabei der Maler eine besondere Bewunderung, in der sich Respekt und Ehrfurcht mischen. Das in den Massenmedien vermittelte Bild des Malers zeigt gern einen wild gestikulierenden creator furiosus, der sich beim Arbeiten die Seele aus dem Leib reißt und seine Leinwand mit der krassesten Energie beackert. Dass dieses Klischee reduzierend ist, liegt auf der Hand. Dass Malerei auch eine unspektakuläre Angelegenheit ist, die Geduld, Ausdauer, Konzentration und Regelmäßigkeit benötigt, ist nicht zu beweisen.

Wildförster gehört zur Künstlergattung, die in der Vorstellung des Volksglaubens nicht passt. Kein plötzlicher Impuls, kein dramatischer Ausdruck, kein Spuk. Sie arbeitet langsam und genau, eben unaufgeregt. Die Flächen ihrer Kompositionen sind präzis vorausberechnet, die Farben von Anfang an festgelegt, der Prozess der Arbeit vorausschaubar. „Ich bin ein Fleißarbeiter“, sagt die Künstlerin über sich selbst. Dies erkennt man mühelos an ihren Gemälden: Sie bestehen aus vertikalen oder horizontalen Farbbändern, die von wenigen, mit dem Lineal gezeichneten Elementen belebt werden – keine Spur der Aufregung, kein dramatisches Mitteilungsbedürfnis in dieser akribischen Malerei.

Aus diesem Grund könnte der Volksglauben, der Vincent Van Gogh, Emil Schumacher oder Georg Baselitz im Sinne hat, vorschnell behaupten, dass Wildförsters Malerei zu sauber, zu kühl oder gar zu stumpfsinnig und unexpressiv sei. Die unbedingte Suche nach einem einfachen, primären Ausdruck in der Kunst ist eine genauso primäre und einfache Reaktion. Maler können ja ihren Weltschmerz herausbrüllen oder ihre wahnsinnige Energie auf Leinwand kanalisieren. Und Maler, die weder brüllen noch kanalisieren, sind nicht deshalb weniger Maler. Denn die Malerei ist immer eine Möglichkeit, sein Verhältnis zur Welt zu klären und auf diese Welt symbolisch − also indirekt − einzuwirken. Diese Einwirkung kann kraftvoll und gewaltig, aber auch gelassen und konzentriert erfolgen. Wildförster hat sich für den letzteren Umgang entschieden.

Ihre Malerei lässt die Realität einen Prozess der Reinigung durchlaufen. Für ihre Bilder geht die Künstlerin zunächst von fotographischen Aufnahmen aus, die sich für den Betrachter sofort erschließen: Es sind Hochhausfassaden, Plattenbautenriegel, Trabantensiedlungen. Diese Motive werden am Computer verarbeitet und stark verfremdet. Wildförster unternimmt von da an alles, um die Vielfalt der vorgefundenen Welt auszusondern. Unregelmäßigkeiten an den Fassaden, Spuren von menschlichen Existenzen oder Alterungserscheinungen des Gebäudes werden säuberlich getilgt; perspektivische Ansichten werden in eine zweidimensionale Fläche gebracht, changierende Farbtöne zu einer basischen Information reduziert − in manchen Bildern sogar ins Schwarz-Weiß. All das Individuelle, Sonderbare und Aus-der-Reihe-Tanzende wird eliminiert.

Der malerische Prozess beschränkt sich dann auf ein sorgfältiges Auftragen der Farbe. Experimente mit Effekten unterschiedlicher Arten, bei denen Farbkombinationen ausprobiert und pastose oder durchsichtige Strukturen angewendet wurden, sind in der Vergangenheit mal realisiert worden. Die Ergebnisse, weitaus opulenter und mannigfaltiger als all das, was sich in diesem Katalog sehen lässt, wurden allerdings abgelehnt. Denn Wildförster sucht nicht die Materie der Malerei oder die authentische Farbsprache; sie will nicht die Eigenschaften des Mediums zelebrieren und noch weniger einem Farbrausch verfallen. Sie will eine Ordnung in die Welt bringen. Sie will die Entropie dieser Welt durch ordnende Arbeit reduzieren. Sie will das Flüchtige und Changierende des Lebens für einen Moment stoppen, damit sie es besser erfassen kann. Sie sucht das mathematische Gerüst der Dinge hinter ihren organischen oder mineralischen Oberflächen, sie sucht die unentwegte Wahrheit hinter der bewegten Fassade, das Universale hinter dem Besonderen.

Von daher ist die Malerei von Wildförster keine Malerei. Vor allem scheinen die schwarz-weißen Bilder allen Anspruch an das Medium aufgegeben zu haben. Die Leinwand ist noch da und die Acrylfarbe wird noch mit einem Pinsel übertragen, aber Wildförster spricht hauptsächlich eine graphische Sprache − und keine malerische. Auch deshalb fällt es schwer, von Motiven zu sprechen. Die visuellen Komponenten erinnern eher an abstrakte Zeichen, Codes oder Symbole. Diese Zeichen, die mal Fensterrahmen oder Balkonvorsprung an einer Fassade waren, werden im Takt wie Musiknoten auf einer Partitur eingereiht. Kein Staccato in dieser Musik, keine Dissonanz und keine abrupten Brüche in der Entwicklung der Melodie. Dafür aber ein klarer, alles ordnender Rhythmus und eine gleichmäßige, sich wiederholende Tonfolge. Wenn Wildförsters Kompositionen gespielt werden sollten, würde man mit Sicherheit an minimal music erinnert werden, an Steve Reich, Terry Riley oder Phil Glas.

Das ist keine Musik für Helden. Helden hören Wagner, meinetwegen auch Prokovief oder Stravinsky. Wenn man sich auf die Musik von Wildförster einlässt, wenn man das erste, oberflächliche Gefühl von Gleichförmigkeit und Eintönigkeit hinter sich lässt, dringt man in eine Welt der kristallen Klänge und regelmäßigen Töne ein. Eine perfekte Welt, perfekt wie die Idee; eine durch und durch konstruierte Welt, die Klarheit, Besinnlichkeit und ewige Kontemplation offeriert.

 

 

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